oder: Gottes Liebe und des Menschen Freiheit
Wie oft wünschen wir uns gerade in den großen und kleinen Krisen und Katastrophen des Lebens, Gott möge doch helfend eingreifen und alles – möglichst sofort und in unserem Sinne – zum Guten wenden. Und wie oft wenden wir uns dann ob des scheinbaren Ausbleibens der göttlichen Rettungstat enttäuscht ab und klagen Gott an, wie er das alles denn überhaupt zulassen könne. Letztlich wünschen wir uns, Gott würde solange an den Stellschrauben des Lebens drehen, bis alles stimmt und bis das Leid aus der Welt fortgenommen ist.
Gott als großer Mechaniker und das Leben als Uhrwerk, bei dem alles nach Plan verläuft – ein verlockender, aber auch ein gefährlicher Gedanke. Denn ein solcher Gott könnte dem Menschen keine Freiheit zubilligen. Das Leben würde einem inneren Zwang folgen, der jeden freien Willen ausschlösse. Computer funktionieren so, nicht aber der Mensch. Der Kurzfilm „Spin“ von Jamin Winans spekuliert mit der Möglichkeit, Gott würde an den Stellschrauben des Lebens drehen und so das Schicksal der Menschen beeinflussen (sehen Sie hier den Film bei Youtube).
(veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von DoubleEdgeFilms)
Gott fällt als DJ vom Himmel. Mit seinen Turntables beeinflusst er das Schicksal der Menschen. Der Film zeigt auch, dass die verschiedenen Leben von einander völlig unbekannten Menschen in einem komplexen Zusammenhang stehen. Die Gesamtgemeinschaft erscheint als großes System. Wer hier an einer kleinen Stellschraube dreht, verändert immer das Leben aller. Während das eine Schicksal sich zum Guten wendet, gerät ein anderes aus dem Lot. Die kleinen und großen Katastrophen des Lebens lassen sich nicht verhindern. Der DJ muss diese dem Leben innwohnende Freiheit letztlich akzeptieren.
Es besteht kein Zweifel daran, dass das Leben des Menschen – des einzelnen wie des Menschen an sich – von Brüchen, Hoch- und Tiefphasen, Schuld und Glück gleichermaßen geprägt ist. So läuft jedes Menschleben unausweichlich auf die Katastrophe des eigenen Todes hinaus. Diesem Dilemma, zwischen Geburt zum Leben und Leben zum Tod eingespannt zu sein, kann der Mensch nicht entrinnen. Diese Erkenntnis führt fast von selbst vor die Frage nach dem Sinn des Lebens. Die Beantwortung dieser Frage ist allerdings nur aus der menschlichen Erfahrung heraus zu beantworten, bei der allerdings eine wichtige gedankliche Voraussetzung zu beachten ist, die auf zwei Weisen erfolgen kann.
Die gedankliche Voraussetzung betrifft die Frage nach der Existenz eines Gottes. Wird diese Frage negativ beantwortet, bleibt angesichts der realen Lebenserfahrung in letzter Konsequenz nur die Antwort des Nihilismus. Wenn es kein Ziel gibt, auf das der Mensch zuläuft, dann bleibt alles in diesem Leben purer, gleicheitig aber sinnloser Zufall. Nichts ist letzten Endes mit Sinn versehen.
Die reale Erfahrung verweist nicht in diese Richtung. Jeder Mensch, der geliebt wird oder der Liebe empfindet, erfährt existentiell und unmittelbar die Sinnhaftigkeit dieser Welt. Er wird nicht immer Worte für diesen Sinn und diese Erfahrung finden. In der Erfahrung der empfangenen wie der geschenkten Liebe drückt sich dieser letzte Sinn allerdings selbst aus, ohne dass es Worte bräuchte.
Diese Grunderfahrung der Liebesfähigkeit und -bedürftigkeit des Menschen führt zu der zweiten möglichen gedanklichen Voraussetzung: Es existiert eine höhere Macht, die wir Christen Gott nennen. Die Liebe ist in sich immateriell. Sie lässt sich im Letzten nicht evolutionstheoretisch oder naturwissenschaftlich erfassen. Die Liebe auf das Zusammenspiel von Hormonen, Reflexen und Botenstoffen zu reduzieren, ihrer Kraft und Macht, die jeder Liebende spürt, nicht gerecht. So kann das Hohe Lied der Liebe im Alten Testament singen:
Stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt. Ihre Gluten sind Feuergluten, gewaltige Flammen. Auch mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen; auch Ströme schwemmen sie nicht weg. Böte einer für die Liebe den ganzen Reichtum seines Hauses, nur verachten würde man ihn. (Hohes Lied 8,6b-7)
Die Liebe selbst ist es, die uns auf Gott verweist. Die Liebesfähigkeit und -bedürftigkeit des Menschen erinnert, dass der Mensch nicht in sich stehen kann, sondern auf ein Gegenüber hingeordnet ist. In der Liebe übersteigt sich der Mensch selbst (die Theologen nennen diesen Überstieg die Selbsttranszendierung des Menschen). Dabei ist die Sehnsucht dieser Liebe in sich unstillbar. Der Liebende kommt an kein Ende. Gerade diese unstillbare Sehnsucht, die die Liebe auslöst, ist es, die letzten Endes auf die Existenz Gottes verweist. Deshalb kann der Kirchenvater Augustinus ausrufen:
Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir, o Herr. (Augustinus, Confessiones)
Dass der Mensch zu gebender und emfpangender Liebe fähig ist, verweist ihn auf Gott selbst. Das zeigt aber auch, dass die Liebe selbst kein Zufall ist. Sie hat ihre Ursache in Gott. Gott selbst ist die Liebe.
Es entspricht nun aber auch der allgemein-menschlichen Erfahrung, dass die Liebe keinen Zwang duldet. Jede Form von Zwang bewirkt die Abwesenheit von Liebe. Umgekehrt zieht die Liebe als absolute Notwendigkeit die Freiheit nach sich. Liebe und Freiheit bedingen sich gegenseitig.
Aus diesen Grundüberlegungen ergeben sich nun folgende Konsequenzen. Wenn Gott die Liebe ist, kann er nicht für sich stehen. Das hat nicht nur Folgen für das Gottesbild: Gott muss in sich Liebe, Dynamik und Begegnung sein (nur am Rande sei hier erwähnt, dass die christliche Lehre der Dreifaltigkeit Gottes hier ein starkes Argument findet). Vielmehr ist auch die Schöpfung selbst eine notwendige Folge der Liebe Gottes; denn die Liebe sucht nicht sich selbst, sondern ein Gegenüber:
Lasst uns Menschen machen nach unserem Abbild, uns ähnlich (Genesis 1,26) Das ist nicht nur ein willkürlicher Schöpfungsakt, sondern innere Konsequenz des liebenden Gottes.
Wo die Liebe ist, da ist notwendig auch Freiheit. Wenn sich die Schöpfung als Ganzes und der Mensch als Geschöpf im Speziellen der Konsequenz der Liebe Gottes verdankt, dann muss die Freiheit inneres Prinzip der Schöpfung als Ganzes sein. Die der Schöpfung notwendig innewohnende Freiheit führt deshalb dazu, dass die Schöfpung als Ganzes in sich keinen Zwang duldet. Stark vereinfacht heißt das: Die Schöpfung darf um der Liebe willen nicht perfekt sein. Die Vergänglichkeit ist Teil dieses notwendigken Imperfektionismus. Und so kann Paulus im Römerbrief feststellen:
Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. (Römerbrief 8,22)
Die kleinen und großen Katastrophen des Lebens sind der Preis der Freiheit. Die Freiheit aber ist die Folge der Liebe, die in letzter Konsequenz auf Gott ausgerichtet ist. Wenn Gott an den Stellschrauben des Lebens drehen und uns diese kleinen und großen Unglücke ersparen würde, würde das den Tod der Liebe und der Freiheit bedeuten. Was wäre dann das Leben?
Jetzt könnte man meinen, die Liebe sei dann doch zynisch, wenn sie uns das Leid nicht erspart. Die große Frage, warum Gott die kleinen und großen Katastrophen des Lebens überhaupt zulässt, beinhaltet diesen latenten Zynismus. Sie übersieht aber auch, dass diese Welt nicht in sich ruht, sondern auf ein großes Ziel zuläuft. Wird das Leid sinnvoller, wenn es keinen Gott gibt?
Der Gott der Christen, der Vater Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater Jesu Christi ist ein mitleidender Gott. Er ist ein Gott, der gezeigt hat, dass er die Leiden kennt, so dass der Hebräerbrief folgern kann:
Denn da er selbst in Versuchung geführt wurde und gelitten hat, kann er denen helfen, die in Versuchung geführt werden. (Hebräerbrief 2,18)
Und noch etwas darf nicht übersehen werden: Als Kinder Gottes haben wir Menschen den Auftrag, die Liebe Gottes in dieser Welt immer mehr sichtbar werden zu lassen. Das heißt konkret: Wir sollen mit Gott an unserer Seite daran arbeiten, die kleinen und großen Katastrophen in der Welt zu lindern.
Das Leben hat keine Stellschrauben. In unserer Brust tickt ja auch kein Uhrwerk, sondern schlägt ein Herz aus Fleisch. Der Mensch ist zur Freiheit gerufen. Wer wollte diesen Ruf überhören?
Dr. Werner Kleine
Lesen Sie zu diesem Beitrag auch den Artikel „Im Dilemma zwischen Pflicht und Schuldigkeit“.
Der Film „Spin“ von Jamin Winans wird hier über den embed-Link des YouTube-Accounts von DoubleEdgeFilms präsentiert. DoubleEdgeFilms hält die Rechte an dem Film. DoubleEdgeFilms hat Kath 2:30 eine Veröffentlichung am 24.9.2009 genehmigt.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Weitere Informationen zum Kurzfilm „Spin“ von Jamin Winans finden Sie auch unter Arte.tv